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Chris Ehni

Postkapitalistisches Design — Was passierte, würde eine Designpraxis den Horizont und den damit verbundenen Raum der Möglichkeiten hinterfragen, implizite Annahmen negieren oder neu konstruieren und gleichzeitig den beschriebenen kapitalistisch geprägten Kern abstoßen?

Dieser Text stellt eine mögliche Deutung des Designs dar, welche sich auf die philosophische Analyse von Daniel Martin Feige von 2018 bezieht. Weiter dringt der Text zum Kern des Designs vor und argumentiert, warum sich Design mit dem Raum des Möglichen auseinandersetzt. Dem gegenüberstehend wird grob ein Designansatz konturiert, welcher das Unmögliche in den Fokus rückt, um daraus Fragen für die Disziplin in der Gegenwart abzuleiten.



Was macht Design aus?

Design zu fassen ist deshalb schwierig, weil unterschiedlichste Designpraktiken, Überschneidungen zu Disziplinen und vermeintliche Deutungen der Geschichte des Designs existieren. Im Kapitel »Zur Geschichtlichkeit des Designs aus »Design. Eine philosophische Analyse« von Daniel Martin Feige (2018) lassen sich jedoch Argumente finden, welche die Entstehung des Designs in ein brauchbares Fundament überführen. Feige untersucht die Bestimmtheit des Designs im Vergleich zu Kunst und Handwerk. Dabei geht er anders als Kolleg*innen explizit auf die »unbestimmte Bestimmtheit«1 des Designbegriffs ein. Der Sinn von Design werde »in und durch neue Designgegenstände wie allgemeinere gesellschaftliche und technologische Errungenschaften jeweils neu ausgehandelt«2.

Das beschreibt die Schwierigkeit innerhalb der Diskussion: Design wird ständig durch alle neu entstehenden Designgegenstände und vor dem Hintergrund aller bereits entstandenen Designgegenstände neu verhandelt. Design gebe »retroaktiv«3 Sinn und neue Gegenstände, die darunter zu verorten sind, folgten einer Tradition des Designs. Trotzdem habe auch Design eine Entstehungsphase in der sich eine neue Art von Gegenstand entwickelte, welcher von diesem Zeitpunkt an als »eigenständiger Gegenstandsbereich«4 angesehen werden könne. Für Feige geschah dies innerhalb der industriellen Revolution durch eine »Melange aus ästhetischen, technischen und industriellen Gesichtspunkten«5. Design als Bestimmung war geboren und damit auch die Deutung von dem, was davor war und allem, was sich in dieser Reihe zukünftig entwickeln ließe.

Die angesprochene Entstehungszeit gibt einen Hinweis darauf, was Design ausmacht. Design entstand demnach aus der Trennung von »Entwurf und Fertigung« und dem damit verbundenen Massenproduktionsverfahren, welche zusammen den wesentlichen Unterschied im Vergleich zu den damals etablierten Disziplinen des Handwerks und der Kunst ausmache.6 Design als eigenständiger Gegenstandsbereich konstituiert sich daher gewissermaßen aus dem Kapitalismus, der diese Art der Produktion hervorgebracht hat. Nun könnte man einwenden, dass Design sich weiterentwickle und durch jüngere Ausprägungen Zwecke des Gemeinwohls erfülle, welche im Kern nicht kapitalistisch seien.

Wie Boltanski & Chiapello 2003 allerdings ausführlich beschreiben, sei der Kapitalismus deshalb so erfolgreich, weil er Kritik an ihm integriere und sich so, durch die an ihm geäußerte Kritik, immer wieder anpasse, ohne Grundzüge zu verändern.7 In diesem Sinne ist die Frage angebracht, ob sich jüngere Formen des Designs diesem Umstand entziehen können.

Ein gutes Beispiel für die Kritikintegration ist das Thema Nachhaltigkeit. So gab es durch die gesellschaftliche Kritik an Umweltverschmutzung und Überflussgesellschaft nicht nur zivilgesellschaftliche Initiativen und politische Reformen, sondern auch gleichzeitig neue Maßnahmen, mit denen sich Umsatz steigern oder neue Zielgruppen erreichen ließen: Bio-Labels, Tierwohl-Initiativen oder Lieferkettengesetze wurden für die strukturbeherrschenden Organisationen ab dem Zeitpunkt interessant, ab dem sie Gewinn versprachen. Institutionen, die jahrelang das genaue Gegenteil der Nachhaltigkeit förderten8 stellten in der Folge aufgrund der Rentabilität grüner Investments auf nachhaltige Investments um.

Obwohl diese Entwicklung sicherlich teilweise zu inkrementellen Verbesserung führt, muss betont werden, dass die Struktur des Kapitalismus letztendlich dadurch weiter legitimiert wird. Vermeintlich gutgemeinte Initiativen und Designgegenstände entpuppen sich im Kern daher oft als im Wesentlichen geprägt von kapitalistischen Denkweisen.



Was schafft Design?

Nicht nur die Abgrenzung von Design, sondern auch der Designgegenstand selbst ist diskussionswürdig. Im Folgenden möchte ich darauf mit eigenen Gedanken eingehen.

Berücksichtigt man die im vorherigen Abschnitt aufgestellten Annahmen und verortet Design innerhalb dieser kapitalistischen Rahmenbedingungen, drängt sich die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Designs »Neues« zu erschaffen auf. »Neues«, unter den beschriebenen Voraussetzungen des Kerns von Design und dem kapitalistischen System, bedeutet in dem Fall neue Kombinationen aus bereits vorhandenen oder erahnbaren Möglichkeiten. Ein aktuelles Beispiel veranschaulicht den Gedanken: Eine gegenwärtige Kritik besteht im Umstand der Produktion und Konsumtion von Einwegbehältnissen. Kritisiert wird dabei unter anderem der Ressourcenverbrauch, die Nutzung von Plastikmischstoffen, die fehlende Kreislaufwirtschaft und die Praxis des Wegwerfens an sich.

Ein Designgegenstand, der auf diese Kritik Bezug nimmt, ist die Entwicklung von RECUP9. Ein Pfandbechersystem, das es ermöglicht Heißgetränke »nachhaltiger« als bisher unterwegs zu konsumieren. Die Gestaltung besteht aus der sozialen Praxis, dem Organisationsprinzip, dem Herstellungsverfahren, dem Business-Modell, dem Produktdesign und der Kommunikation. Die Kombination aus diesen einzelnen Teilbereichen, welche bisher auch schon in ähnlicher Weise zu finden waren, schafft dabei das Neuartige an dieser Lösung. Wie man sieht, werden die Rahmenbedingungen allerdings nicht verändert – Design wie in diesem Beispiel bewegt sich innerhalb des Raums der Möglichkeiten und schafft dabei neue Praktiken für unseren Alltag mit diesen Möglichkeiten umzugehen.

Eine Praxis, die etwas wirklich Neues schaffte, würde sich jedoch abwenden vom Raum der Möglichkeiten und sich den Grenzen des Raumes zuwenden: jene Rahmenbedingungen (Kapitalismus) und impliziten Annahmen, die durch Geschichte, Kultur, Wissen usw. geprägt sind. Design in seiner jetzigen Form – als Praxis der Möglichkeiten – legitimiert hingegen diese Rahmenbedingungen und impliziten Annahmen.10 Eine Designpraxis, die Neues schaffen möchte, müsste den Raum und Horizont der Möglichkeiten hinterfragen und sich vom kapitalistisch geprägten Kern seiner Geschichtlichkeit lösen.



Postkapitalistisches Design

Was passierte, würde eine Designpraxis den Horizont und den damit verbundenen Raum der Möglichkeiten hinterfragen, implizite Annahmen negieren oder neu konstruieren und gleichzeitig den beschriebenen kapitalistisch geprägten Kern abstoßen? Es entstünde ein leeres Gerüst, dessen Kern mit Inhalt gefüllt werden muss. Die von Feige angesprochene Tradition des Designs würde durch die Abkehr vom Kapitalismus unterbrochen werden. Eine Art des Designs entstünde, welche sich aus der Abkehr vom Kern und den vorhandenen Strukturen konstituiere: das postkapitalistische Design. Der Forschungsbereich dieser Disziplin würde ausgeweitet auf den die Kontingenz begrenzenden Raum. Design, das den Möglichkeitshorizont verliesse, bärge die Chance Unmögliches zu erforschen und dieses, als gestalteten Designgegenstand, im Alltag der Menschen erlebbar zu machen.

Der, als Artikulation des Unmöglichen gestaltete Designgegenstand, wäre nach der irischen Philosophin Maeve Cooke bereits »… eine Vergegenwärtigung, die eine eigene erschließende Kraft [besäße]«11. In diesem Verständnis würde durch die Gestaltung eines Designgegenstandes, der das zuvor erforschte Unmögliche zum Thema hat, das Unmögliche ein Stück weit weniger unmöglich werden. Das dabei entstandene Designobjekt würde dabei keine konkrete Funktion für den Alltag besitzen. Es enthielte jedoch das Potential »… der Welterschließung und der ethischen Orientierung«.12

Man könnte so über das Unmögliche, was durch einen postkapitalistischen Designgegenstand am Horizont sichtbar und im Alltag erlebbar würde, diskutieren, versuchen ihm näher zu kommen oder ihn als Kompass für den gesellschaftlichen Wandel nutzen.

Die daraus entstehende Designpraxis wäre geprägt von einem Selbstverständnis, Teile des Unmöglichen, durch ein »Zusammenspiel aus Affekt und Vernunft«13, für die Gesellschaft erlebbar und verhandelbar zu machen – die Konstruktion und Erforschung des Unmöglichen und die Gestaltung dieser Erkenntnisse innerhalb eines Designgegenstands.



Wohin von hier?

Der grob konturierte Ansatz einer neuausgerichteten Art des Designs, schafft eine Reihe von Problemen, welche weiter behandelt werden müssen (Zugehörigkeit zum Design, Forschungsgegenstand, Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie uvm.). Trotzdem lassen sich aus diesen Gedanken Fragen formulieren, die für die Gegenwart relevant sind.

Für den*die Designer*in stellen sich grundlegende Fragen. Der beschriebene Kern des postkapitalistischen Designs ist leer und muss neu verhandelt werden.

Die Füllung dieses Kerns geht einher mit grundlegenden Fragen zu Praxis, Methodik, Ergebnis, Überschneidung und Abgrenzung zu anderen Disziplinen. Was würde in den Kern gelegt werden? Welche Konsequenzen ergäben sich daraus für das Bild einer Gesellschaft, dem Erkenntnisgerüst oder bestehenden Strukturen? Wie würde mit impliziten Annahmen, Transdisziplinarität oder Partizipation umgegangen werden? Für die Lehre entstehen ähnliche Grundsatzfragen.

Sollte die Lehre Studierende zu problemorientiert-kontingenten Designer*innen ausbilden? Wie sähen die Strukturen und Methodik innerhalb der Lehre für diese neue Art des Designs aus? Wie veränderte sich die Vorstellung guter Studierender? Welche Grundbildung anderer Disziplinen wären fruchtbar, zu hinterfragen oder neu zu konstruieren für eine Designausbildung? Diese Neukonstruktion des Designs schafft keine Antworten. Sie hebt jedoch den Blick in Richtung Horizont – und der ist voller Fragen.

1 Feige, Daniel Martin (2018): Design. Eine philosophische Analyse. Frankfurt a. M. 2018, S. 54.
2 Ebd.
3 Feige, 2018, S. 58.
4 Feige, 2018, S. 57.
5 Ebd.
6 Feige, 2018, S. 55-57.
7 Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz 2003.
8 Etwa der Finanzkonzern Blackrock, vgl. https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/weltgroesster-vermoegensverwalter-die-ungenutzte-macht-blackrock-springt-beimklimaschutz-zu-kurz/25505818.html (Stand: 11.03.2020).
9 Vgl. https://www.recup.de/ (Stand:11.03.2020). Natürlich gibt es weitere Unternehmen und Designlösungen, die sich mit der Kritik beschäftigen.
10 Wenn auch Design Auswirkung auf die alltägliche Praxis zugesprochen werden kann, welche sich aber mit den bereits vorhandenen Möglichkeiten innerhalb der Rahmenbedingungen auseinandersetzt.
11 Cooke, Maeve (2013): Zur Rationalität der Gesellschaftskritik. In: Jaeggi, Rahel; Wesche, Tilo (Hrsg.): Was ist Kritik? 3. Aufl. Frankfurt a. M. 2013, S. 117-133, S. 131.
12 Cooke, 2013, S. 119.
13Ebd.

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